Ich sehe die Lichter der Stadt, ich sehe sie aus

 |  23.04.2009 — 04.10.2009

Georg Soanca-Pollaks Arbeit steht im Kontext seiner künstlerischen Suche nach Formen des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus. Sie ist bestimmt von seiner Suche nach Bildfindungen, die sowohl mit den Erinnerungen Betroffener korrespondieren als auch eine Verbindung zu kommenden Generationen halten, sie emotional einbeziehen und Impulse für einen Austausch setzen.

Die für die KZ-Gedenkstätte Dachau realisierte raumgreifende Installation „ich sehe die Lichter der Stadt – ich sehe sie aus“ bestand aus drei Einzelwerken: „Bilder der Erinnerung“, „Himmel“ und „18 Minuten“.

Bilder der Erinnerung

Auf einem einfachen Fichtenholztisch sind 40 Passepartouts ausgelegt. Tritt der Besucher näher an den Tisch heran, erkennt er, dass jedes ein kleines Schwarz-Weiß-Portrait enthält. Grundlage für „Bilder der Erinnerung“ sind die biographischen Daten von Menschen, die während der nationalsozialistischen Diktatur im Konzentrationslager Dachau inhaftiert und ermordet worden sind. Georg Soanca-Pollak wählte 40 Einzelportraits aus, um sie in einem neuen Kontext erfahrbar zu machen. Stellvertretend für das Schicksal Tausender rückt er so einzelne Personen in den Blickpunkt. Gleichsam ist die Momentaufnahme der Fotografie nur ein Bruchteil, ein winziges Stück aus dem Leben der Menschen, die dadurch für kurze Zeit ins Bewusstsein zurückkehren. Ausgehend vom Augenblick, den das Foto festhält, wird hier das Leben eines Menschen in Erinnerung gerufen. Hinter einer weichen, grauen Pappe verborgen, die einen Kontrast zu der kleinen Schwarz-Weiß-Kopie bildet, sucht sich der Betrachter einzelne Fotos heraus. Er möchte nun mehr über die abgebildete Person erfahren. So wird die Berührung des Werkes zur Geste und zugleich zum sinnlichen Erlebnis für den Betrachter. Die Menschen auf den Fotos sind durch ihr Abbild lebendig, die Erinnerung wird festgehalten. Der Betrachter nimmt für einen Moment teil am Leben eines Menschen und lässt sein individuelles Schicksal aus der Anonymität abstrakter Zahlen auftauchen.

Himmel

Am Ende des Fichtenholztisches sind sechs Stoffbahnen abgehängt. Sie symbolisieren die Andeutung eines Stücks Himmel. Mit dem Wort Himmel verbindet sich die Vorstellung von grenzenloser Weite, von visueller und imaginärer Projektionsfläche, einem abstrakten jenseitigen Ort, einem Begriff, der den Tod mit dem Leben verknüpft.
Georg Soanca-Pollak projiziert auf die Stoffbahnen Filmaufnahmen vom Gelände der Gedenkstätte Dachau. Der Film setzt sich aus fünf Einstellungen zusammen: 1-minütige Aufzeichnungen, die mittels Slowmotion auf je 18 Minuten gedehnt sind. Die stetige, langsame Schwenkbewegung der Kamera lässt neben den landschaftlichen Elementen wie beiläufig auch architektonische Formen vorüberziehen: Im Verlauf lassen sich die einzelnen, nur schemenhaft erkennbaren und ausschnitthaft gezeigten Gebäudeteile – ein Wachturm, eine langgestreckte, flache Baracke, Dachgiebel, ein massiver Schornstein, Zaun und Zaunpfähle – als typische Bestandteile der auf Funktionalität und Vernichtung ausgerichteten nationalsozialistischen Lagerarchitektur identifizieren. Kontrastiert werden die Details der Lagerkonzeption durch immer wieder gewährte Ausblicke auf die offene Weite eines blauen Himmels. Zwei Einstellungen der Arbeit rücken auch den Künstler selbst ins Zentrum. Die Kamera tastet seinen Schatten bzw. seine transparent vor Bäume und Himmel gelegte Silhouette ab, um dann an den Umriss geheftet, seinen Schritten zu folgen. Zwischendurch kippt die Figur, als ob sie den Halt verlieren würde und symbolisiert damit die Gefährdung, Unsicherheit und Verletzbarkeit des Individuums.
Der für die kollektive und individuelle Geschichte bedeutsame Zeitfaktor bestimmt auch die künstlerische Umsetzung der Arbeit. Film als Medium der Aufzeichnung, Speicherung und Archivierung sowie der Wiedergabe und Dokumentation ist an den linearen Zeitlauf, die Vergänglichkeit gebunden. Die zeitmanipulativen filmischen Fähigkeiten der Be- und Entschleunigung erlauben, eine in Echtzeit 1 Minute währende Aufnahme auf eine Projektionsdauer von 18 Minuten zu verlangsamen.

18 Minuten

Für die Fotoarbeit „18 Minuten“ wählte Georg Soanca-Pollak 18 Stills aus dem Film „Himmel“ aus. Durch den Ausdruck und die Rahmung einzelner Filmsequenzen hält er die Zeit gleichsam an. Im Hebräischen steht die Zahl 18 für das Leben.

Georg Soanca-Pollak

Geboren 1967 in Klausenburg, Rumänien. Seit 1995 setzt er sich mit dem jüdischen Leben in Deutschland vor 1945 auseinander. Anhand von Fotos einzelner Personen betreibt er seit über 15 Jahren eine Art persönlicher Spurensicherung. Seine bekannteste Arbeit ist der „Gang der Erinnerung“ für die Israelitische Kultusgemeinde München und Oberbayern. Anders als die jüdische Kultur, die vor allem mit Schrift als kulturellem Gedächtnis verbunden ist, ist es für Georg Soanca-Pollak das Bild, das die Erinnerung aufrecht hält. Statt abstrakter Informationen über den Völkermord möchte er über die Bilder den Verfolgten nahe kommen und an sie erinnern.