Nachruf

Witold Scibak (1928-2023)

 |  14. November 2023

Witold Scibak (2015) © Anna Andlauer

Die KZ-Gedenkstätte Dachau trauert um Witold Scibak. Der polnische Überlebende des KZ Dachau, Witold Scibak, starb am 5. November 2023, kurz vor seinem 95. Geburtstag. Die KZ-Gedenkstätte verliert einen der letzten Zeitzeugen, der engagiert gegen das Vergessen der Gräuel der NS-Herrschaft aufgetreten ist.

Scibak wurde 1928 in Torun geboren. Er stammte aus einem gutbürgerlichen Haus – der Vater war Buchhalter – und hatte Geschwister. Seine Familie zog in den 1930er Jahren nach Warschau. Nach dem Überfall der Wehrmacht auf Polen war das Leben der Familie starken Einschränkungen ausgesetzt, die polnische Bevölkerung wurde von den Besatzern als minderwertig behandelt und der Vater wurde zeitweise inhaftiert. Infolge der Niederschlagung des Warschauer Aufstands im Sommer 1944 verlor die Familie ihr Haus in der Altstadt. Sie waren gezwungen, die Stadt zu verlassen und wurden nach Westen ins Reichsgebiet deportiert. Schließlich wurde Witold zusammen mit seinem Vater in das KZ Sachsenhausen eingeliefert, seine Mutter und Schwester kamen in das KZ Ravensbrück. Witold Scibak wurde dem Arbeitskommando „Gruppe Speer“ zugeordnet, wo er aus kriegszerstörtem Material Metalle herausschneiden musste.

Ein erster Evakuierungsmarsch führte ihn zunächst von Sachsenhausen nach Bergen-Belsen, wo er, wie er sich erinnerte, die Hölle erlebte, in der man nur auf den Tod gewartet hat. Witold spielte mit dem Gedanken, sich in den elektrischen Zaun zu stürzen, um dem Grauen zu entgehen. Nach kurzer Zeit hatte er jedoch die Gelegenheit, mit einem weiteren Evakuierungszug nach Süddeutschland zu kommen. Witold Scibak wurde in Dachau mit der Häftlingsnummer 144.567 registriert und kam zunächst Anfang März 1945 mit mehr als 300 Häftlingen in das in Schwaben gelegene Außenlager Horgau. Mit dem Heranrücken der alliierten Streitkräfte wurden die Häftlinge aus Horgau gezwungen, in das nahegelegene Außenlager Augsburg-Pfersee weiterzuziehen, wo sich ein noch größeres Messerschmitt-Werk befand. Dort mussten die Häftlinge in einer Blechschmiede Metalle für die Messerschmitt AG herstellen. Sie wurden in zwölfstunden Tag- und Nachtschichten eingeteilt und hatten zudem einen weiten Weg zu ihren primitiven Unterkunftshütten zurückzulegen. Heute ist dort in der „Halle 116“ ein Erinnerungs- und Lernort zu sehen, der am 28. Oktober 2023 eröffnet wurde.

Schließlich gelangte Witold Scibak in einem weiteren Todesmarsch nach Klimmach, südlich von Augsburg, wo er befreit wurde. Scibak erinnerte sich „Wir waren derart ausgezehrt, dass den Soldaten die Tränen in die Augen stiegen. Und die waren doch den Krieg gewohnt.“ Die US-Soldaten brachten Scibak zunächst in einer Familie in Schwabmünchen unter, danach konnte er in das Kinderheim des Klosters Markt Indersdorf, wo er sich von den Strapazen erholen konnte. Schließlich konnte der Internationale Suchdienst den Kontakt zu seiner Familie herstellen und Witold kehrte 1946 nach Warschau zurück. Er holte seine versäumte Schulbildung nach, studierte und wurde schließlich Dozent an der Technischen Hochschule in Warschau, wo er angehende Bauingenieure unterrichtete.

In einer Ausstellung in Warschau über deportierte Kinder im Nationalsozialismus entdeckte Witold zufällig sein Foto. 70 Jahre nach Kriegsende wurde diese von Anna Andlauer betreute Ausstellung in Warschau gezeigt. Witolds Enkelin Karolina drängte ihn zu einem Besuch in Deutschland, um seiner eigenen Geschichte nachzugehen. So besuchte er im Juli 2015 die ehemaligen Orte seiner Inhaftierung und seiner Befreiung und Rettung. Auch die KZ Gedenkstätte Dachau lud ihn ein und Scibak war am 22. Juli 2015 in einem eindrucksvollen Zeitzeugengespräch zu hören. Scibak wählte als Motto einen ihm wichtigen Satz: „Ich bin der UNRRA dankbar, für das, was sie im Kloster Indersdorf für uns getan hat“.