Nachruf
Pawlo Scharun (1927-2024)
| 10. Dezember 2024
Die KZ-Gedenkstätte Dachau trauert um Pawlo Scharun. Der 97-jährige KZ-Dachau-Überlebende ist am 21. November 2024 in der Ukraine gestorben.
Pawlo Scharun wurde am 27. Oktober 1927 in der sowjetischen Stadt Slowjansk (heute in der ukrainischen Oblast Donezk) in eine orthodoxen Familie geboren. Bereits im Alter von fünf Jahren bekam Pawlo Scharun das erste Mal staatlichen Terror zu spüren, als das sowjetische Stalin-Regime durch die angeordnete kollektive Hungersnot, in der Ukraine „Holodomor“ genannt, Millionen Ukrainer in den Hungertod zwang. Er überlebte und wurde 1941 auch Zeuge des Überfalls der deutschen Wehrmacht auf den ukrainischen Teil der Sowjetunion. Noch als Schüler wurde er 1941 gezwungen, sich zum Arbeitsdienst zu melden und schwere Gleisbauarbeiten zu verrichten. Scharun und sein Freund Viktor Kononenko verweigerten die Arbeit, wurden daraufhin denunziert und am 27. Mai 1943 in ein Arbeitslager in Makijiwka gebracht. Im August wurden Scharun und Kononenko in einem mehrwöchigen Transport zusammen mit ca. 900 weiteren Männern in das KZ Dachau deportiert. Völlig entkräftet erreichte der erst 15-jährige Scharun am 15. September 1943 das KZ Dachau. Dort wurde er Opfer der Malariaversuche. Er überlebte fast zwei Jahre die unmenschlichen Haftbedingungen im Stammlager und im KZ-Außenlager Lauingen (Landkreis Dillingen an der Donau), wo er für die Flugzeugteile-Produktion der Messerschmitt AG Zwangsarbeit leisten musste. Die SS misshandelte den damals 17-Jährigen so schwer, dass er einige Zähne verlor. Im April 1945 erkrankte er an Flecktyphus. Die Befreiung in Dachau erlebte Scharun sehr geschwächt. Laut eigener Angaben war er nicht bei Bewusstsein. Auch Scharuns Freund Viktor Kononenko erlebte die Befreiung.
Nachdem Scharun bei Dresden gesund gepflegt wurde, gelang es ihm, in seine Heimat Slowjansk zurückzukehren. Dort gründete er eine Familie und bekam einer Tochter, Larysa Pawlowna . Bis in die 1990er-Jahre arbeitete Scharun als Fabrikdirektor in Slowjansk und konnte nach Ende des Kalten Kriegs erstmals mit dem Dachauer Förderverein für Internationale Jugendbegegnung und Gedenkstättenarbeit in Kontakt treten. Im Jahr 2000 nahm Scharun zusammen mit anderen ukrainischen Überlebenden am 55. Jahrestag der Befreiung des KZ Dachau sowie an der Internationalen Jugendbegegnung in Dachau teil.
Nachdem Scharun mit seiner Familie drei Jahrzehnte in einer unabhängigen Ukraine leben konnte, wurde er vor zweieinhalb Jahren noch einmal Zeuge eines Krieges in seiner Heimat. Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine ab dem 24. Februar 2022 lag sein Haus in Slowjansk nur 25 Kilometer von der Frontlinie entfernt. Es wurde bei einem Angriff zerstört. Pawlo Scharun erlitt einen Herzinfarkt. Nur mühsam kam er wieder zu Kräften. Die KZ-Gedenkstätte Dachau und die Evangelische Versöhnungskirche hatten daraufhin Spenden gesammelt, mit denen das Maximilian-Kolbe-Werk Pawlo Scharun und andere KZ-Dachau-Überlebende in der Ukraine unterstützt hat. Der Gedenkstätte gelang es auch, mit der Familie von Pawlo Scharun in Verbindung zu treten. Gemeinsam mit den Johannitern und der ukrainischen Flüchtlingshilfe wurde fortan versucht, die Ausreise von Scharuns Familie nach Deutschland vorzubereiten. Doch erst gab es Probleme mit der Gesundheit von Pawlo Scharun und dann mit der Vorbereitung der Reisedokumente. Als es so aussah, als könnte die Flucht diesen Spätherbst doch noch gelingen, stürzte Pawlo Scharun tragischerweise und brach sich den Oberschenkelhals. Eine Lungenentzündung und Herzprobleme führten schließlich dazu, dass er im Alter von 97 Jahren in seiner Heimat gestorben ist. Die Evangelische Versöhnungskirche und die Katholische Seelsorge führten Ende November einen Gedenkgottesdienst für ihn durch, an dem sich auch die Gedenkstätte beteiligte. Bei der bewegenden Zeremonie nahmen 75 Schülerinnen aus Bad Tölz teil und entzündeten für Pawlo Scharun einige Gedächtniskerzen.
Wir werden seine bewegende Geschichte in Erinnerung behalten und immer wieder an ihn erinnern. Unsere Gedanken sind bei seiner Familie und vor allem bei seiner Tochter Larysa Pawlowna.