Nachruf
Ernst Sillem (1923–2020)
| 21. Oktober 2020
Die KZ-Gedenkstätte Dachau trauert um den Zeitzeugen Ernst Sillem, der im Oktober 2020 97-jährig gestorben ist.
1923 im niederländischen Baarn geboren, entschloss sich Ernst Sillem als Schüler am „Het Baarnsch Lyceum“ zusammen mit seinem Freund Jaap van Mesdag zu Widerstandsaktivitäten gegen die deutsche Besatzungsmacht. Die beiden Gymnasiasten stahlen Munition und wollten ein Munitionslager sprengen, führten diesen Plan aber nicht aus. Ernst Sillem malte in einer nächtlichen Aktion etwa 30 anti-deutsche Parolen an die Schulwände: „Weg mit dem Hakenkreuz“ oder auch „England gewinnt!“.
1942 wollten die beiden jungen Männer mit einem Boot nach England übersetzen, gerieten aber in Seenot. Jaap van Mesdag setzte mit seiner Trompete ein SOS-Signal ab. Sie wurden gerettet – ausgerechnet von einem deutschen Kriegsschiff. Damit begann ihre Leidenszeit in deutschen Konzentrationslagern.
Von einem Rotterdamer Gefängnis aus wurde Ernst Sillem in das Durchgangslager Kamp Amersfoort gebracht, von hier in das Konzentrationslager Vught überstellt. Ende Juni 1943 brachten die deutschen Besatzer Ernst Sillem als Nacht- und Nebel-Gefangenen nach Natzweiler. Dort musste er vier Monate im berüchtigten Steinbruch arbeiten, danach wurde er als Hilfselektriker eingesetzt. Wegen der vorrückenden Alliierten räumten die Nationalsozialisten im September 1944 Natzweiler, Ernst Sillem deportierten sie in das Konzentrationslager Dachau. Im Dachauer Außenlager München-Allach leistete der Gefangene Zwangsarbeit für BMW, bis er Ende Januar 1945 an Typhus erkrankte und daher zurück in das Dachauer Stammlager gebracht wurde. Er überstand diese Erkrankung knapp und erlebte die Befreiung des Konzentrationslagers durch die Amerikaner am 29. April 1945.
Nach dem Krieg arbeitete Ernst Sillem zunächst in den Niederlanden für das Rote Kreuz und für die Luftfahrtsgesellschaft KLM. Schließlich leitete er 28 Jahre lang eine Zitrusplantage in Marokko. Seinen Lebensabend verbrachte er meist in seinem Haus in Frankreich.
Seit 2009 war Ernst Sillem Vorsitzender des niederländischen Natzweiler-Komitees. So oft es ihm möglich war, besuchte er die KZ-Gedenkstätte Dachau und das ehemalige Außenlager Allach. Immer wieder warnte er vor Nationalismus und Intoleranz. So auch vor acht Jahren, als er im Rahmen eines Zeitzeugengesprächs über sein Leben berichtete. Ernst Sillem konnte 2018 der Eröffnung der Ausstellung „Namen statt Nummern. Niederländische politische Häftlinge im Konzentrationslager Dachau“ beiwohnen, in der auch die Geschichte seiner Verfolgung gezeigt wurde.
Die Gedenkstätte verliert einen guten Freund. Wir werden Ernst Sillems freundliche und heitere Art und seine stets bejahende Einstellung zum Leben in Erinnerung behalten.