Nachruf

Livia Bitton-Jackson (1930-2023)

 |  14. Juni 2023

Bild: KZ-Gedenkstätte Dachau

Eine der letzten Jüdinnen aus der Slowakei, Livia Bitton-Jackson, starb am 17. Mai in Jerusalem. Die KZ-Gedenkstätte Dachau trauert um eine ihrer aktivsten Zeitzeuginnen.

Livia Bitton-Jackson wurde als Elvira Friedmann im Februar 1930 im ungarisch geprägten Šamorín an der Donau in der westlichen Slowakei geboren. Ihre Familie betrieb eine Gemischtwarenhandlung. Sie sah sich seit der ungarischen Besetzung 1938 immer stärker werdenden antisemitischen Anfeindungen und staatlichen Restriktionen ausgesetzt. Nach dem Einmarsch der Wehrmacht in Ungarn im Frühjahr 1944 musste die Familie Friedmann Šamorín verlassen. Sie wurde gezwungen, in ein nahegelegenes Ghetto zu ziehen. Dort wurde ihre Familie auseinandergerissen. Ihren Vater Mark sah Livia nie wieder, er starb im KZ Bergen-Belsen. Gemeinsam mit ihrer Mutter Laura wurde sie nach Auschwitz deportiert und überlebte dort als 13-jährige die Selektion, weil sie, wie sie berichtete, groß gewachsen und blondhaarig war. Für kurze Zeit wurde sie in das KZ Plaszow bei Krakau weitertransportiert und kam schließlich von dort mit einem Transport von 500 Frauen am 8. August 1944 in das Dachauer Außenlager Augsburg-Michelwerke, wo die Häftlinge Flugzeugteile produzieren mussten. Die Versorgungssituation verschlechterte sich auch dort rapide. Livia überlebte gemeinsam mit ihrer Mutter Laura nur knapp diese letzte Haftstätte. Sie wurden in den letzten Kriegstagen gemeinsam nach Mühldorf transportiert, wo sie zufällig auf ihren Bruder Bubi (Armin) traf. Schließlich überlebten sie die dramatische Evakuierung und Befreiung auf dem Todesmarsch in Seeshaupt.

Ihr Leben unmittelbar nach Kriegsende beschrieb Livia Bitton-Jackson detailliert und eindrücklich in ihrem Buch „Brücken der Hoffnung“ (2018, im englischen Original „My Bridges of Hope“ 1999 erschienen). Die überlebenden Familienmitglieder kehrten zunächst in die Slowakei zurück, verließen die ehemalige Heimat jedoch bald wieder als sie sich einem neuen Antisemitismus konfrontiert sahen. Livia Bitton-Jackson wanderte 1951 über die Zwischenstation in bayerischen DP-Lagern in die USA aus. Sie promovierte an der New York University in Hebräischer Kultur und Jüdischer Geschichte. In ihren Vorlesungen analysierte sie die Rolle der Frau im Judentum und referierte über den Staat Israel. Schließlich wanderte sie mit ihrem zweiten Mann, Len Jackson, 1977 nach Israel aus. Ein Leben in Jerusalem war für sie das endgültige Ankommen in einer lang ersehnten Heimat.

Als Livia Bitton-Jackson im Jahr 2010 zum ersten Mal wieder Dachau besuchte, erklärte sie sich zu einem Interview bereit. Eindrucksvoll schilderte sie, welchen Verfolgungsmaßnahmen sie und ihre Familie ausgesetzt waren. Schließlich wandte sie sich mit einer Botschaft an den Interviewer und letztlich an uns alle: “Erzählen Sie die Geschichte des Holocaust. Denn es gibt diejenigen, die ihn verleugnen und behaupten, dass er nie gewesen sei. Bitte sagen Sie ihnen, dass er wirklich geschah, denn Sie sprachen mit jemandem, der da war. Und ich war dort. […] Und ich möchte nicht, dass irgendjemand, egal ob es sich um Juden oder eine andere Minderheit handelt, jemals das durchmachen muss, was ich durchmachen musste. (And I don’t want that anybody, no matter whether they are Jews or another minority, should ever, ever have to go through what I have gone through.)” Ein Satz, der den aufrüttelnden Schlusspunkt des Dokumentarfilms bildet, den die Gedenkstätte zeigt.