Nachruf

Georg Heller (1923 – 2022)

 |  31. Oktober 2022

Die KZ-Gedenkstätte Dachau trauert um Dr. Georg Heller. Der Überlebende der Konzentrationslager Auschwitz, Dachau und des Außenlagers Mühldorf ist am 26. September 2022 im Alter von 99 Jahren in München verstorben.

Georg Heller wurde am 8. Juni 1923 in Budapest geboren. Er entstammte einer gutbürgerlichen jüdischen Familie und verlebte eine behütete Kinder- und Jugendzeit. Sein Vater war hochdekorierter Offizier im Ersten Weltkrieg. Georg Heller studierte an der Budapester Universität. Er war 21 Jahre alt, als die Wehrmacht Ungarn besetzte. An jenem Tag, dem 19. März 1944, hörte er ein für ihn unvergessliches Konzert, das der berühmte Dirigent Zoltán Kodály leitete.

Die faschistische Machtübernahme führte zu einer radikalen Verschlechterung seiner Lebenssituation. Georg Heller wurde im Ghetto von Oradea/Großwardein interniert. Im Juni 1944 transportierte die SS ihn und Tausende weitere Juden in 40 Viehwaggons nach Auschwitz-Birkenau. In Auschwitz wurde er mit der Nummer A-12153 tätowiert. Später wählte Georg Heller diese Nummer zum Titel seiner schriftlich niedergelegten Erinnerungen an die Deportation, die entwürdigende Behandlung und das mühsame Überleben.

Er wurde im Stammlager Auschwitz zu Arbeiten in der Kiesgrube eingesetzt. Wie durch ein Wunder überlebte er alle Selektionen. Er fand dort zwei fast gleichaltrige Freunde, die als Medizinstudenten an der Sorbonne in Paris studiert hatten. Sie hatten auch im Lager über Literatur und Musik gesprochen und sich versprochen, sich nicht aufzugeben, sondern weiter Mensch zu bleiben. Damals hatten sie beschlossen, nie über das Lager und den Terror zu reden oder zu schreiben. Sie wollten sich in die Rolle von Beobachtern begeben.

Beim Näherrücken der Roten Armee wurden die letzten Überlebenden auf einen wochenlangen Todesmarsch gezwungen. So gelangte Heller Ende Januar 1945 nach Dachau, wo er die gesamte Zeit in der Quarantänestation verbrachte. Wenige Wochen später kam er in das Außenlager Mühldorf. Er und seine Leidensgenossen mussten dort die Nacht in Erdhütten verbringen; tagsüber waren sie zu schweren Transportarbeiten in der Bunkerbaustelle eingesetzt und mussten Zementsäcke schleppen. Kurz vor Kriegsende gelang ihm gemeinsam mit anderen Kameraden die Flucht, sie konnten in einem Bauernhof unterkommen und erlebten dort die Befreiung.

Danach kehrte Georg Heller nach Ungarn zurück. Im Außenlager Mühldorf traf er einen Bekannten, der ihm versicherte, dass seine Eltern noch am Leben seien, was sich als Trugschluss erwies. 1950 lernte er seine Frau Magda kennen. Die beiden heirateten und bekamen zwei Kinder. Über die Erlebnisse als Verfolgter hatte er niemals mit seiner Frau und den Kindern gesprochen, denn er wollte sie nicht belasten.

Da er sich mit dem kommunistischen Regime in Ungarn nicht arrangieren konnte, flüchtete er 1956 nach Deutschland, als der ungarische Aufstand von Sowjettruppen niedergeschlagen wurde. Er, seine Frau und sein erstgeborener Sohn wohnten damals in einem Barackenlager zwischen Dachau und München. In seinem Bemühen um eine Entschädigung traf er auf sehr großen Widerstand. Bei der Antragstellung musste er sich Fragen stellen wie: „Können Sie die Haft beweisen?“, „Haben Sie keine Zeugen oder Papiere?“ oder „Sie haben Fristen versäumt!“ Lange Zeit hat Georg Heller deshalb keine Entschädigung bekommen.

In München lehrte er bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1989 finno-ugristische Sprachwissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität.

Seine Erinnerungen an die Zeit der Inhaftierung veröffentlichte er im Jahr 2012 unter dem Titel „Im KZ. Zwei jüdische Schicksale“. Die KZ-Gedenkstätte Dachau besuchte er immer wieder. Er konnte 2013 dazu gewonnen werden, in Dachau als Zeitzeuge aufzutreten.

Der Gedenkstätte bleibt Georg Heller als ein sympathischer, bescheidener, doch sehr aufgeweckter Mensch in Erinnerung. Seine Lebendigkeit und sein Sprachwitz wie auch seine liebevolle Art haben uns immer wieder in den Bann gezogen. Seiner Familie gilt unser Beileid.

 

Zur Befreiungsfeier 2021 erzählte Georg Heller uns seine persönliche Geschichte – unter dem folgenden Link können Sie diese ansehen:
https://www.kz-gedenkstaette-dachau.de/zeitzeugengespraech/ueberlebende-erzaehlen-dr-georg-heller/