Gedenkstättenbesuch
Ein bewegender Gedenkstätten-Besuch vor rund 50 Jahren
| 19. September 2022
München 1972: Israelische Mannschaft besucht Dachau (dpa)
Gedenkveranstaltungen im Jahr 1972
Die frühere Leistungsschwimmerin Shlomit Nir staunte nicht schlecht, als wir ihr am Rande der Gedenkfeier für die Opfer des Olympia-Attentats in Fürstenfeldbruck am 5. September 2022 einen Artikel der Dachauer Nachrichten überreichten. In diesem ist ein Foto zu sehen, auf dem Nir zusammen mit einer Teamkollegin einen Gedenkkranz trägt. Aufgenommen wurde dieses Foto während des Besuchs der Israelischen Olympiadelegation an der KZ-Gedenkstätte Dachau am 1. September 1972. „Das Foto sehe ich zum ersten Mal, aber ich kann mich noch gut an den Besuch erinnern“, sagte uns Nir und tauschte sich sofort mit ihren ehemaligen Teamkolleg/-innen Esther Roth und Gad Tsobari über den Gedenkstätten-Besuch aus. Zusammen mit den Angehörigen der Opfer des Olympia-Attentats waren auch Roth und Tsobari für die Gedenkfeierlichkeiten zum 50. Jahrestag nach München und Fürstenfeldbruck gekommen. Esther Roth, damals die wohl aussichtsreichste israelische Medaillenanwärterin, konnte als einzige Sportlerin nicht am Gedenkstättenbesuch 1972 teilnehmen. Ihr Trainer hatte ihr den Besuch untersagt, weil am Folgetag ihr Wettkampf über 100 Meter Hürden stattfand. Der Ringer Gad Tsobari konnte damals aber teilnehmen und diskutierte sogleich mit den beiden Damen, ob er im Hintergrund des Fotos zu sehen sei.
Das Gedenken der Israelischen Delegation am 1. September 1972 war aber nicht der einzige Besuch von Sportler/-innen im Rahmen der Olympischen Sommerspiele von München. Bereits am 25. August, dem Vorabend der Eröffnungsfeier, hatte die KZ-Gedenkstätte Dachau zahlreiche Athlet/-innen zu einer Gedenkveranstaltung begrüßen dürfen. Bei dieser Gelegenheit konnten die Gäste auch die Sonderausstellung „Sportler im antifaschistischen Widerstand“ besuchen, die anlässlich der Sommerspiele erarbeitet worden war. Diese war jedoch vom Deutschen Olympischen Komitee nicht ins Rahmenprogramm der Sommerspiele aufgenommen worden, da man keine Politiker autokratischer Staaten verärgern wollte. Auch drei Mitglieder der Israelischen Olympia-Delegation waren am 25. August bei der Gedenkfeier dabei. Shaul Ladany, der den Holocaust überlebt hat und in München für Israel als Geher am Start war, erinnerte sich kürzlich in einem Gespräch mit uns an die Diskussionen in den Tagen danach. Zahlreiche Israelische Medien echauffierten sich darüber, dass nur so wenige israelische Delegations-Mitglieder der Gedenkfeier an einer KZ-Gedenkstätte beiwohnten und einige forderten gar die sofortige Rückreise aller israelischer Athlet/-innen. Auch Shaul Ladany musste einen Brief seiner verärgerten Frau in Empfang nehmen, die sich darüber ärgerte, dass er nicht beim Besuch dabei war und den Opfern des Holocaust die Ehre erwiesen hatte.
Aufgrund der anhaltenden Kritik kam dann am 1. September fast die gesamte Israelische Olympia-Delegation zu einer kleinen Gedenkzeremonie nach Dachau und erinnerte an die Opfer des Holocaust in Dachau und seinen Außenlagern. Tragischerweise waren unter den Gästen auch alle elf Delegations-Mitglieder, die nur vier Tage später von palästinensischen Terroristen in München und Fürstenfeldbruck ermordet wurden. Shaul Ladany blieb damals allerdings am Gedenkstätten-Eingang stehen, da er sich geschworen hatte nach seiner Gefangenschaft im KZ Bergen-Belsen nicht noch einmal solch einen Ort zu betreten. Das Attentat vier Tage später überlebte der heute 86-jährige nur knapp, da er gerade noch rechtzeitig aus dem Gebäude in der Connollystraße 31 fliehen konnte.
Am 3. September 1972 kam es dann noch zu einer von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, kurz VVN, organisierten Gedenkfeier, bei der rund 1.000 Sportler/-innen, Olympia-Tourist/-innen sowie Dachau-Überlebende und deren Angehörige teilnahmen. Auch die Delegation der DDR war mit einigen Sportler/-innen gekommen und das Besucherbuch von September 1972 zeigt uns noch heute die Unterschriften von den zahlreichen Gästen aus aller Welt.
Gedenken 50 Jahre später
Nun jährten sich diese Daten zum 50. Mal und beim Staatlichen Gedenk-Akt in Fürstenfeldbruck sprachen hohe Staatsgäste wie Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Israels Staatspräsident Izchak Herzog und der Bayrische Ministerpräsident Markus Söder. Als erster Präsident der Bundesrepublik bat Steinmeier die Angehörigen um Vergebung. Shlomit Nir lobte im Gespräch mit uns die ehrlichen und versöhnenden Worte des Bundespräsidenten und Ankie Spitzer, die Frau des damals ermordeten André Spitzer und Wortführerin der Angehörigen, umarmte Steinmeier nach seiner Rede. In ihrer emotionalen Ansprache richtete sie ihre Worte direkt an ihren Mann André. Jahrzehntelang hatte Spitzer für Entschädigung und Aufarbeitung gekämpft und gerade noch rechtzeitig vor dem Jahrestag konnte mit der Bundesregierung endlich eine Einigung erzielt werden.
Beim Gedenkstättenbesuch am 1. September 1972 war auch Ankie Spitzer an der Seite ihres Mannes André dabei und es wird vermutlich ihr letzter gemeinsamer Ausflug gewesen sein. Warum Shlomit Nir damals den Kranz tragen durfte und wer die andere Kranzträgerin auf dem Foto war, konnten uns die Zeitzeug/-innen nicht sicher sagen. Nir konnte sich aber noch erinnern, dass der Delegationsleiter Shmuel Lalkin sie damals damit beauftragt hatte. In den kommenden Jahren möchten sie, Shaul Ladany und auch Ankie Spitzer noch einmal die KZ-Gedenkstätte Dachau besuchen. Wir würden uns darüber sehr freuen und gedenken dieser Tage den elf israelischen Sportler/-innen sowie dem deutschen Polizisten, die am 5. September 1972 ermordet wurden.
Text: Maximilian Lütgens