Uri Chanoch
| 18. September 2015
Uri Chanoch war als ältestes von drei Kindern einer alteingesessenen Familie jüdischer Bauern und Kaufleute im litauischen Kaunas geboren. Nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion 1941 erlebte er die Gewaltexzesse, mit der nicht-jüdische Litauer gegen ihre jüdischen Landsleute vorgingen. Die deutschen Besatzer zwangen ihn und seine Familie ins Ghetto umzuziehen. Zu fünft mussten die Chanochs in einem einzigen Zimmer hausen. Ihr Leben war von Hunger, Zwangsarbeit und den Vernichtungsaktionen durch die deutsche SS und Polizei geprägt. Dennoch erinnerte er sich später, dass seine Familie eine harmonische Familie blieb, bis die SS das Ghettolager, das nach und nach in ein KZ verwandelt worden war, im Juli 1944 räumte und die letzten Juden aus Kaunas in das Konzentrationslager Stutthof verschleppte. Dort wurden die männlichen Gefangen von den Frauen und Kindern getrennt. Seine Schwester und seine Mutter sah Uri Chanoch nie wieder. Ihn selbst verschleppte die SS zusammen mit seinem Bruder Daniel und seinem Vater in den Dachauer Außenlager-Komplex Landsberg-Kaufering. Daniel und sein Vater wurden von dort nach Auschwitz deportiert, wo die SS den Vater ermordete.
Uri Chanoch musste in Landsberg schwere Zwangsarbeit auf der Baustelle einer riesigen Bunkeranlage leisten. Später wurde er als Läufer in der Lagerschreibstube eingesetzt. Bei der Räumung des Außenlagers Kaufering III befand sich Uri Chanoch im Zug nach Dachau, als dieser bei Schwabhausen in einen Fliegerangriff geriet. Im nachfolgenden Chaos gelang ihm die Flucht aus den Waggons. Auf einer Landstraße bei Landsberg wurde er von US-Soldaten befreit. Monate später erfuhr er, dass auch sein Bruder Daniel überlebt hatte. Auf abenteuerlichen Wegen gelang beiden die Auswanderung in das britisch verwaltete Palästina. Dort kämpfte Uri Chanoch für die Errichtung eines jüdischen Staates. Anschließend ließ er sich als selbständiger Geschäftsmann in Israel nieder und gründete eine Familie.
Veranlasst durch eine Initiative, die sich dafür einsetzte, mit Mahnmalen an die Todesmärsche der Dachauer KZ-Häftlinge zu erinnern, nahm Uri Chanoch Ende der 1980er Jahre erstmals wieder Kontakt zu deutschen Gesprächspartnern auf. Seit den 1990er Jahren reiste er regelmäßig mit einer Gruppe von Freunden, die sich zum Teil noch aus dem Ghetto in Kaunas und den Kauferinger KZ-Außenlagern kannten, nach Deutschland. In Zeitzeugengesprächen berichtete er über das Leid, dass er als KZ-Häftling hatte erfahren müssen. Mit Nachdruck und gegen manche Widerstände setzte er sich dafür ein, die Überreste des größten Dachauer Außenlager-Komplexes in Landsberg-Kaufering zu erhalten und öffentlich zugänglich zu machen. Uri Chanoch war Gründer des Verbandes der Überlebenden der Dachauer Außenlager Landsberg-Kaufering und Mitglied des Stiftungsrates der Stiftung Bayerische Gedenkstätten.
Die KZ-Gedenkstätte Dachau verliert in Uri Chanoch einen engagierten Zeitzeugen, einen kritischen Begleiter und einen engen Freund. Unsere Gedanken sind bei seinen drei Kindern und Enkeln.