Gedenkbotschaft Joëlle Delpech-Boursier

Gedenkbotschaft Joëlle Delpech-Boursier

Tochter von General André Delpech

 

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(Übersetzung des französischen Transkripts)

Guten Tag,

ich stelle mich vor: ich bin Joëlle Delpech-Boursier, Tochter von General André Delpech, der wegen seiner Widerstandstätigkeit gegen das NS-Regime im Juli 1944 nach Dachau verschleppt wurde.

Ich wurde 13 Jahre nach der Befreiung des KZ Dachau geboren. Seit meiner Kindheit wusste ich, dass mein Vater im Krieg gekämpft hatte, gefangen genommen wurde und in Deutschland in Gefangenschaft war. Er hat uns sehr wenig über seine Gefangenschaft erzählt, er erwähnte quasi nie diese Periode seines Lebens als junger Mann, bis auf die paar Male, als er uns vom Leid durch den Hunger erzählte, wenn mein Bruder, meine Schwester oder ich unseren Teller nicht leer essen wollten.

Erst als Jugendliche bekam ich das Gefühl, dass die Gefangenschaft meines Vaters besonders war, und dass sie sich von der Gefangenschaft meines Großvaters mütterlicherseits in einem Oflag [Kriegsgefangenenlager für Offiziere] unterschied. Der Tag, an dem mein Vater wirklich von der KZ-Haft erzählte, war der 20. Geburtstag meines Bruders, des ältesten Sohnes der Familie. Am Ende des Essens, beim Nachtisch (ich kann mich noch daran erinnern – es gab Apfelkuchen), sagte mein Vater, der während des Essens geschwiegen hatte: „Und jetzt erzähle ich euch einmal von meinem zwanzigsten Geburtstag; an diesem Tag hatte ich entschieden, nicht für das Dritte Reich zu arbeiten und habe den ganzen Tag auf der Toilette verbracht“.

Das war der 1. Oktober 1944. Über zwei Stunden lang erzählte er uns von diesem besonderen Tag – an dem er sein Leben riskierte, denn er wäre auf irgendeine Weise hingerichtet worden, wenn er erwischt worden wäre – und dann vom Transport im Todeszug, vom Alltag in seinem Kommando in Neckargerach, seiner Befreiung, der Liebe für das Vaterland und seinem Einsatz im Militär, sodass wir, seine zukünftigen Kinder, nicht das erleben müssen, was er erlebt hatte.

Wir schwiegen, hörten ihm zu und trauten uns nicht, ihn zu unterbrechen. Wir hatten vor uns eine andere Seite unseres Vaters. In seinen Worten gab es keine Beschwerden, keine Schwarzmalerei, keinen Hass, aber viel Menschlichkeit… Er war in Gedanken immer bei denjenigen, die nicht zurückkamen.

Dann verstummte er wieder. Damals gab es kein Internet; ich habe in Büchern nachgesehen. Als ich die Fotos der Häftlinge und der Todeslager sah, dachte ich mir, dass es nicht sein kann, dass mein Vater so aussah wie die auf den Fotos. Für mich war mein Vater ein Fels, unverwüstlich, ein Beschützer…

Die Stille trat wieder ein, mein Vater sprach wenig und aus Scham trauten wir uns nicht, ihn weiter zu befragen. Erst im Erwachsenenalter, als ich um die 40 war, verheiratet und Mutter dreier Kinder, hat mich mein Vater schrittweise dazu gebracht, mich für seine Geschichte zu interessieren, auf eine sehr indirekte Art.

Er bat mich, Mitglied der französischen Lagergemeinschaft des KZ Dachau und Mitglied des Comité International de Dachau zu werden, von letzterem war er der Präsident. Mit der Unterstützung seiner Kameraden wollte er die Satzungen ändern, um es den Folgegenerationen zu ermöglichen, Mitglied zu werden. So wird die von den Überlebenden initiierte Erinnerungsarbeit weitergetragen. Die gemeinsamen Werte, die sie tragen – ganz unabhängig von Nationalität, religiösem Glauben, politischer Orientierung – sollen angemahnt, verteidigt und wenn möglich verstanden werden, sodass das „nie wieder“ Realität wird.

Das sind die Werte, die wir als Vermächtnis erhalten haben und die wir, die Nachfolgenden, weitergeben müssen, auch wenn wir die KZ-Haft nicht selber erlebt haben. Für uns, die Nachkommen, sind die Gedenkfeiern ein besonderer Moment. Wir kehren zum Ort des Leidens der ehemaligen Häftlinge zurück; wir sprechen über sie, über ihre Lehre… und wir kommen zusammen wie die Mitglieder einer großen Familie.

Diese Gedenkfeiern sind die Gelegenheit, daran zu erinnern, was Menschen im Namen einer gegen Humanismus gerichteten Ideologie anderen Menschen antun konnten. Es ist unsere Pflicht, dies anzumahnen, auch wenn die Zeit vergeht.  Vertun wir nicht unser Erbe, erinnern wir immer wieder an die humanistischen Werte, die wir von ihrem Märtyrer als Vermächtnis erhalten haben. Das ist unsere Pflicht!

 

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