Gedenkbotschaft Jean-Michel Thomas

Gedenkbotschaft Jean-Michel Thomas

Sohn von Jean Thomas

 

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(Übersetzung des französischen Transkripts)

Ich war 38 Jahre alt, als mein Vater mir wirklich von der KZ-Haft erzählte. Dies war während einer Reise mit seinem Freund René Vaissié nach Dachau, zu den Orten der Arbeitskommandos der Lager am Neckar und nach Vaihingen.

Ich stand hinter ihnen und hörte zu, als sie über ihre Erinnerungen sprachen und sogar Witze darüber machten.

„Erinnerst du dich an das Abrasieren der gesamten Körperbehaarung und den Graupelschauer, der auf der Haut furchtbar brannte? Wir tanzten lang von einem Fuß auf den anderen!

Und die Lauskontrolle. Komplett nackt, mit unseren Kleidern auf dem Kopf durchquerten wir den eiskalten Fluss. Das Wasser reichte uns bis zum Hals. Am anderen Ufer wurden unsere Kleider in der Desinfektionskammer mit Dampf behandelt. Nackt und zitternd mussten wir über eine Stunde warten, bis die Nissen getötet waren. Wir waren zum Umfallen müde.
Und dann bekamen wir unsere Effekten zurück – nach dem endlosen Aufruf der Häftlingsnummern auf Deutsch.
Dann die Rückkehr über die Brücke in unsere Baracken, wo wir wieder unsere nicht entlausten Bettdecken voller Ungeziefer vorfanden…
Denn die Wachmänner duldeten kein anderes Ungeziefer als sich selbst!

Und erinnerst du dich an den Russen, der versucht hatte, zu flüchten? Zweimal riss das Seil. Beim dritten Mal stieg er auf den Galgen, ohne ein Wort zu sagen, und blieb hängen. Einer von uns schrie dann: ‚Mützen ab!‘ Wir entblößten unsere Häupter, um ihm unsere Ehrerbietung zu erweisen. Die Wachmänner waren wütend aber machtlos.“

Vaihingen war ein Sterbelager für 1.200 Kranke. Dort wurde nicht gearbeitet. Man war da, um zu sterben. 1.570 Tote in 7 Monaten. Von den 120 Männern, die mit dem Transport vom 20. Dezember 1944 zusammen mit meinem Vater ankamen, waren im Februar 1945 89 tot, was 74% entspricht. So wie bei den 74 Toten unter den 100 Männern in seinem Zugwaggon, als sie am 2. Juli 1944 von Compiègne nach Dachau deportiert wurden.

Zusammen mit René hatte er die Stelle am Rande der Grube wieder gefunden, in die sie die in der Nacht Verstorbenen hineinwarfen. Ich konnte nicht glauben, was ich hörte:
„Wir hielten sie an den Knöcheln und Handgelenken und schaukelten sie hin und her… eins, zwei und… und dann warfen wir sie ins Leere… Wir sagten voraus, wie die zerschmetternden Knochen klingen würden, wie totes Holz…“

Ich sagte zu meinem Vater: „Das musst du erzählen“.  Er sagte: „Nein. Es ist unsagbar und niemand wird es verstehen können.“

Ich bestand darauf. Schließlich war er einverstanden zu schreiben. Zuerst einmal nur für seine zwölf Enkelkinder. Es hat ihn krank gemacht aber auch glücklich, vom Elend seiner Kameraden zu erzählen. So wie im Krankenrevier. Er schrieb Folgendes:
„In der Regel meldet der Stubenälteste die Toten erst einen Tag später. So kann er ihre Essensrationen bekommen und sie nach ihrem Tod erneut berauben. Für uns bedeutet das, dass wir 24 Stunden lang neben einer Leiche liegen mussten.
Manchmal jammern, schreien und wimmern die Sterbenden oder die, die im Delirium sind. Er verabreicht ihnen dann ein ‚Beruhigungsmittel‘. Er nimmt seinen Gürtel und schlägt den Sterbenden mit voller Wucht, bis er verstummt. Die Wirkung tritt sofort ein. Die Stille kehrt zurück und der Mann stirbt ein paar Stunden früher als er sonst gestorben wäre.
Wir sind so abgestumpft gegenüber diesem Spektakel, ‚gepanzert‘, wie wir damals sagten, dass wir nicht mal mehr schockiert waren. Durch den Lageralltag haben wir einen Panzer aus Egoismus und Gefühllosigkeit entwickelt. Man muss durchhalten. Wer aufgibt, wer den Willen zum Überleben verliert, wird nicht mehr lange leben. Der Tod ist zur Normalität geworden, fast alltäglich.“

Zwei Tage vor seinem Tod, in seinem 98. Lebensjahr, erzählte er mir erneut vom jesuitischen Pater de la Péraudière, bekannt als „L’apéro“:
„Er hat nicht gesagt, dass er Pfarrer war, obwohl ihm dies gestattet hätte, in Dachau zu bleiben. Seine Berufung diktierte ihm, dass er bei uns bleiben soll, wo er sich uns widmete und Gutherzigkeit ausstrahlte. Er war ein Vorbild.
Eines Tages, als das Arbeitskommando Olbricht sich im Gleichschritt auf den Weg zur Arbeit machte, klopfte er mir auf die Schulter und reichte mir ein in Zeitungspapier eingewickelte Paket. ‚Schnell, leg das in deine Brotdose‘. Was ich in einer Viertelsekunde tat. Dann wurden wir bei der Arbeitseinteilung voneinander getrennt. Ich habe dann das Paket geöffnet. Es enthielt eine Ration Brot, vielleicht seine. Mittags habe ich sie mit den Kameraden geteilt, mit denen ich mit der Lore gearbeitet habe.“

Und mein Vater sagte mir: „Ich denke die ganze Zeit daran…“

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